Repräsentative Bürgerbeteiligung.
In seiner Sitzung vom 24.07.2018 hat der Gemeinderat der Stadt Nürtingen
beschlossen:
„Im Rahmen eines Bürgerbeteiligungsprozesses wird 15 Bürgerinnen und 15
Bürgern (ausgewählt nach dem Zufallsprinzip) ermöglicht, Ideen zur
Gestaltung des Bereichs mit Gastronomie, Biergarten und Hotel an der
Neckarstraße nach der Sommerpause einzubringen.“
OB Heirich ergänzt diesen Beschluss mit der Aussage: "Wir werden ein
geeignetes Format finden, mit dem Alle leben können".
Diese Art der Bürgerbeteiligung wird von der Stadt ab sofort als
„repräsentative Bürgerbeteiligung“ bezeichnet.
"Repräsentative Bürgerbeteiligung" ist eine Nürtinger Erfindung.
Es gibt "repräsentative Umfragen" zur Ermittlung einer augenblicklichen Stimmung.
Aber Bürgerbeteiligung ist immer ein länger laufender Prozess und keine
Momentaufnahme.
Siehe hierzu:
Repräsentative Bürgerbeteiligung: Ein unauflösbarer Widerspruch
Auswahl der Zufallsbürger
Der Gemeinderat stellt sich vor, dass man durch Zufallsauswahl von
Bürgern die Ansichten "der Bürger" repräsentativ abbilden kann. Dabei
geistern immer wieder Zahlen von 30 Bürgern durch den Raum. Aus der
Wahlforschung weiss man, dass man mit einer Zufalls-Stichprobe von 1000
Bürgern eine statistische Vorhersagegenauigkeit von ca. 2% erreicht.
Im Nürtinger Rathaus hat man hingegen zur Auswahl der Zufallsbürger
eigene Ansichten entwickelt, die in jeder Hinsicht angreifbar sind.
Bereits bei der Auswahl der Bürger wurde massiv gegen das Zufallsprinzip
verstoßen: Es wurden 600 Bürgerinnen und Bürger nach dem Zufallsprinzip
ausgewählt und angeschrieben. Ihnen wurde mitgeteilt, dass sie per
Email oder per Postkarte ihre Bereitschaft erklären sollen, beim
Bürgerbeteiligungsprozess mitzumachen. Mit einer Rücklaufquote von 5%
wollte man die Zahl von 30 aktiven Teilnehmern erreichen.
Die Entscheidung über die Teilnahme sollte nach dem "Windhundprinzip"
fallen, d.h. die zuerst eingehenden Antworten kommen zum Zug.
Um die Altersdurchmischung steuern zu können, wurden 3 Altersgruppen
gebildet: 15-25 Jahre, 25-55 Jahre und 55-75 Jahre.
Personen über 75 Jahre
wurden nicht berücksichtigt.
Sobald die Antworten für eine Altersgruppe die vorgesehene Zahl erreicht
hatten, wurden für diese Altersgruppe keine weiteren Bewerbungen mehr
akzeptiert.
Die Briefe wurden so abgeschickt, dass sie am 2. Tag der Sommerferien
freitags im Briefkasten der Empfänger lagen. Einerseits war vermutlich ein
Teil der Angeschriebenen bereits im Urlaub und hat von der Einladung erst
nach dem Urlaub erfahren.
Andererseits hatten Bewerber, die sich für die Antwort per Postkarte
entschieden, keine
Chance zur Teilnahme. Da das Rathaus am Freitagnachmittag und am Wochenende
geschlossen hat, wurde der Rathaus-Briefkasten erst am Montagmorgen geleert.
Bis dahin war die Altersgruppe bereits mit Email-Rückmeldungen aufgefüllt.
Da diese Art der Auswahl der „Zufallsbürger“ keinesfalls zu einer
Repräsentativität führt, wird sie ab sofort von der BI als
„sogenannte repräsentative Bürgerbeteiligung“ bezeichnet.
Erste sogenannte repräsentative Bürgerbeteiligung am 24.09.2018
Zur ersten sogenannten repräsentativen Bürgerbeteiligung wurden 30
Zufallsbürger und die Presse eingeladen.
Tatsächlich erschienen waren dann 23 Bürgerinnen und Bürger.
Hinzu kamen Gemeinderäte (1 Vertreter je Fraktion) ohne
Rederecht sowie Vertreter der Verwaltung und die Verwaltungsspitze.
Eine weitergehende Öffentlichkeit wurde nicht zugelassen. Die Presse war
mit Barbara Goson von der Nürtinger Zeitung anwesend. Den ausgewählten
Bürgerinnen und Bürgern wurde im Einladungsschreiben mitgeteilt, dass
Vorkenntnisse nicht erforderlich seien.
Die Öffentlichkeit erfuhr von dieser Veranstaltung erst im Nachhinein.
Die Veranstaltung wurde von Professor Michael Hoyer aus Schwenningen
geleitet. Er informierte in Zusammenarbeit mit OB-Heirich die 23
erschienenen Zufallsbürger über die Sachverhalte. Dies geschah mit massiver
Einflußnahme, um den Zufallsbürgern den geplanten Hotelbau des Investors
Neveling schmackhaft zu machen.
Einwendungen von Gemeinderäten gegen diese
einseitige Beeinflussung wurden unterbunden, indem an das fehlende
Rederecht für Gemeinderäte erinnert wurde.
2 Tage später erschien unter der Überschrift „Sympathie für ein Hotel“ ein
Artikel in der Nürtinger Zeitung, nach dem das Ergebnis der
Schlussabstimmung (jeder Zufallsbürger konnte bis zu 3 Punkte vergeben)
folgendermaßen ausfiel:
23 Punkte für eine parkähnliche Grünfläche
12 Punkte für ein Café
9 Punkte für ein Hotel
6 Punkte für ein Wellness-Hotel
Selbst der Trick des Oberbürgermeisters, die Punkte für Hotel und
Wellnesshotel zusammenzuzählen, brachte das Hotel nicht auf den ersten
Platz. Deshalb entschied der OB, dass eine zweite Veranstaltung nötig sei.
Dafür verlangten die Zufallsbürger jedoch aussagekräftige Visualisierungen
verschiedener Planungen, so dass sie fundiert entscheiden können. Dies
sagte OB Heirich zu, verwies allerdings darauf, dass man dafür Zeit
benötige.
Ein Protokoll zu dieser Veranstaltung wurde bis heute nicht veröffentlicht.
Zweite sogenannte repräsentative Bürgerbeteiligung am 10.12.2018
Zur zweiten sogenannten repräsentativen Bürgerbeteiligung erschienen von
den ursprünglich geladenen
30 Zufallsbürgern noch 16. Pro Gemeinderatsfraktion war wieder je 1
Vertreter ohne Rederecht anwesend, auch die Vertreter der Stadtverwaltung
und die Verwaltungsspitze waren wieder da. Die Öffentlichkeit war erneut
nicht zugelassen.
Die Veranstaltung wurde wieder von Prof. Hoyer geleitet. Die
Stadtverwaltung hatte vier Planvarianten beim Sieger des Ideenwettbewerbs
von 2015 , Prof. Hähnig, in Auftrag gegeben.
Prof. Hähnig brachte Pläne und das Modell des Siegerentwurfs mit, auf dem
die Gebäude ausgetauscht werden konnten. Allen Planvarianten war gemeinsam,
dass die überbaute Fläche größer als der Wettbewerbs-Siegerentwurf und
folglich die verbleibenden Grünflächen am Neckar kleiner ausfielen.
Prof. Hänig wies ausdrücklich darauf hin, dass die Planungen so gestaltet
werden müssten, dass sie für einen Investor auch wirtschaftlich
herzustellen und zu betreiben seien.
Auch bei dieser Veranstaltung war auffällig, dass alle "Erklärer" von der
Stadt bezahlte Personen waren. Entsprechend "neutral" fielen die Erklärungen aus.
Nach vielen Abwägungen sprachen sich 12 der 16 Zufallsbürger für die
„Variante C“ aus, die sich dadurch auszeichnet, dass sie 2 Punkthäuser
entlang der Straße und ein großes L-förmiges Gebäude enthält, das locker
ein Hotel aufnehmen kann.
Das Protokoll der zweiten Bürgerbeteilung sowie eine Zusammenfassung der
„Bürgergespräche“ sind über das
Rats- und Informationssystem der Stadt
einsehbar.
Wie verfährt die Stadtverwaltung?
Die Stadtverwaltung spricht sich nun dafür aus, die „mit großer Mehrheit“
getroffene Entscheidung der Bürger als Empfehlung für den Gemeinderat
zu werten.
Deshalb stellt sie unter TOP-3 der Gemeinderatssitzung am 12.2.2019
den Antrag:
- Die Planungen von Prof. Hähnig sowie die Entscheidung der Zufallsbürger zur Kenntnis zu nehmen.
- Einen Architekten-/Investorenwettbewerb auf der Basis der „Variante C“ auszuloben.
- Das Büro Kohler&Grohe aus Stuttgart mit der Ausarbeitung des Auslobungstextes zu beauftragen.
- Für den Wettbewerb außerplanmäßige Mittel in Höhe von € 150.000 zu bewilligen.
Diese Vorgehensweise veranlasste die BI, in einem „offenen Brief“ die Gemeinderäte zu drängen, diesen Planungen der Stadtverwaltung nicht zuzustimmen.Offener Brief und Pläne
Offener Brief vom 07.02.2019
Plan des Wettbewerbssiegers von 2015
Erster Plan des Investors Neveling.pdf
Zwischenzeitlicher Diskussionsstand.pdf
"Variante C" - Empfehlung der Bürgerbeteiligung